Es ist Dienstag am späten Nachmittag. Ich breche mit meiner Fotoausrüstung in den nahegelegenen Wald auf. Meine Erwartung auf gute Bilder: Null. Tiere sind unberechenbar. Ich lasse mich überraschen.
Beim Wald angekommen, checke ich meine Kamera-Einstellungen. In der Regel habe ich die ISO-Automatik aktiviert, die Belichtungszeit auf eine 1000tel Sekunde und die Blendenöffnung auf 8 gestellt. Mit diesen Einstellungen mache ich recht gut Erfahrungen, besonders bei Tieren, die sich schnell bewegen. Vögel zum Beispiel machen viele Mikrobewegungen. Der Moment, das Tier und das Licht bestimmen letztendlich meine Einstellungen. Vieles davon ist Spekulation, ein Vorausahnen, aus dem mit der Zeit Kompetenzen entstehen.
«Achtung: Räber kommt …»
Ich gehe einen meiner üblichen Wege entlang.
An manchen Tagen erscheint es mir, als ob die Tiere wüssten, dass ich komme.
Heute ist einer dieser Tage, wo ich mich frage, warum ich überhaupt in den Wald gehe. Keine Tiere, kein Fotospass. Ich versuche, etwas genügsamer zu sein. Diese Situation und Ausgangslage zuzulassen und den Moment, die Stille im Wald, zu geniessen. Wenn sich nichts zeigt, bedeutet das nicht, dass es nicht genug Dinge gibt, die ich geniessen kann.
Im ersten Wegabschnitt tut sich heute rein gar nichts … Meine bisherige Erfahrung lautet: Ob ein Fotospaziergang «erfolgreich» ist, weiss ich erst am Schluss. Wie oft entdecke ich ganz überraschend ein spannendes Motiv … Ich bleibe am Ball.
Erfolg in der Tierfotografie lässt sich lediglich beeinflussen und nicht erzwingen.
Ich überlege. Rechts von mir ist ein Weg, wo ich schon einige Vögel ablichten konnte. Ich versuche es. Plötzlich fliegt ein amselgrosser Vogel an mir vorbei und setzt sich etwa 15 Meter entfernt auf einen Ast. Eine Singdrossel.
Ruhig Blut und ruhig Arm
Ich bleibe stehen und hebe langsam die Kamera an. Zu schnelle Bewegungen würden die Vögel sofort verscheuchen. Die Singdrossel schaut meiner Knipserei entspannt zu. Sie scheint es sogar zu geniessen, im Rampenlicht zu stehen und fängt mit ihrer «Abendtoilette» an ;-). Tiere in einer Handlung (singen, fressen, Körperpflege etc.) zu fotografieren, haucht sofort Leben ins Bild. Beim Fotografieren versuche ich möglichst alles, was zum Leben gehört, zu berücksichtigen.
Ein gutes Gefühl breitet sich in mir aus. Langsam senke ich die Kamera wieder und stelle mein 500 Millimeter-Festbrennweite-Objektiv von FX (Vollformat) auf DX (Normalformat). Mit dieser Massnahme werden aus den 500 Millimetern sogar 750 Millimeter – das bedeutet, ich gewinne nochmals 50 % Nähe zur Singdrossel. Als sie schlussendlich davonfliegt, fühle ich mich glücklich.
«Das kommt gut.»
Zufrieden in Gedanken versunken sehe ich eine Elster an mir vorbeifliegen und etwas weiter vorne landen. Es ist manchmal seltsam: Die meisten Vögel fliegen davon, wenn sie mich sehen. Und dann gibt es diese Tage, wo ich das Gefühl habe, als ob sie anstehen würden, damit ich sie fotografieren kann.
Meine Elster entpuppt sich beim Blick durch die Linse als Eichelhäher. Wunderbar postiert, Blick nach hinten gerichtet. Herrlich!
Ob es so weitergeht?
Mit dem Gehör fotografieren
Im Wald leben verschiedenste Tierarten. Die meisten davon nehmen wir gar nicht wahr. Da sind sie trotzdem. Unterdessen habe ich mir angewöhnt, Bewegungen und Geräusche besser wahrzunehmen. So konnte ich zum Beispiel einen Schwarzspecht schon aus über 200 Metern orten, bin seinem Ruf gefolgt und habe ihn schliesslich unter einer Tanne entdeckt. Die schlechten Lichtverhältnisse haben es meiner Kamera nicht leicht gemacht. Trotzdem verbinde ich mit diesem Foto ein erfüllendes Erlebnis.
Volle Aufmerksamkeit
Oft gehe ich langsam und fast meditativ den Weg entlang. Die Kamera ist meistens auf der anfangs erwähnten Grundeinstellung bereit. Begegnen mir Tiere, die nicht flink oder sehr scheu sind, versuche ich die Belichtungszeit jeweils behutsam zu senken und den Stabilisator (bis 500tel empfehlenswert) zu aktivieren. Heute scheint mein Glück vorbei zu sein. Ich gehe mit einer umfangreichen Auswahl an gelungenen Bildern nach Hause.
Plötzlich höre ich ein Geräusch, etwa 5 Meter neben mir. Durch die Blätter eines Baumes erkenne ich ein Eichhörnchen. Ich warte einen Moment. Meist suchen diese flinken Tiere Schutz in höheren Gefilden. Im unteren Bereich des Baumes ist ein Foto unmöglich, da zu viele Blätter im Weg sind. Im mittleren Bereich des Baumstammes gibt es eine Stelle, die mich hoffen lässt. Ich spekuliere, platziere mich entsprechend und warte.
Yeah, es geklappt. Das Eichhörnchen bleibt in freier Sicht stehen und ich kann zahlreiche Bilder schiessen.
Wie ich diesen Moment geniesse! Ich weiss, an vielen Tagen gelingen mir solche Fotos nicht. Was ich heute einmal mehr gelernt habe? Wenn es die richtige innere Haltung gibt, gibt es auch so etwas wie den richtigen Moment. Aushalten. Durchhalten. Bis am Schluss …
Diese Erfahrungen nehme ich mit in mein Privat- und Berufsleben.